Prinzipiell werden bei der Kinderlähmung 2 verschiedene Impfstoffe unterschieden

  • der oral verabreichte Impfstoff (OPV, "Schluckimpfung"), der abgeschwächte, aber lebende und vermehrungsfähige Polioviren enthält und

  • der per Injektion verabreichte Impfstoff (IPV), der nur inaktivierte Polioviren enthält.

     

Initial enthielt der OPV abgeschwächte Impfviren aller drei Serotypen, seit 2016 werden routinemäßig nur noch bivalente Impfstoffe (mit Typ 1 und 3) oder gar monovalente mit nur noch Typ 1 verwendet.

Nach der Schluckimpfung scheiden Geimpfte vor allem nach der ersten Impfdosis die Impfviren für einige Tage über den Nasen-Rachen-Raum und für einige Wochen mit dem Stuhl aus - vergleichbar einer Wildvirus-Infektion (WHO 2022). Dies führt zu einer nicht ungewollten Weiter-Impfung von (Haushalts-)Kontaktpersonen.

Die Wirksamkeit der Schluckimpfung (Serokonversionsrate) ist in Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen aus verschiedensten Gründen (Ernährungsstatus, interferierende Enterovirusinfektionen, ...) besser als in Ländern mit niedrigem Einkommensniveau. Es entsteht eine Immunität sowohl der Darmschleimhaut, die eine Weiterverbreitung von Polio-Viren stark verringert und eine humorale Immunität über Antikörper im Blut. OPV erzeugen also eine relevante Herdenimmunität.

Eine einmal durch Impfung oder Infektion erworbene Immunität schützt lebenslang vor Krankheitsverläufen mit Lähmungserscheinungen, auch wenn die messbaren Antikörperspiegel im Laufe der Zeit nicht mehr nachweisbar sein sollten (WHO 2022).

Nebenwirkungen der OPV
  • Meningitis (Hirnhautentzündung), Myelitis (Rückenmarksentzündung), Enzephalitis (Hirnentzündung), Krampfanfälle (Friedrich 1998), Lähmungen (Nzolo 2013)

  • vaccine-associated paralytic poliomyelitis/VAPP: In seltenen Fällen können auch die abgeschwächten Impfviren beim Geimpften oder dessen Kontaktpersonen eine Polio mit Lähmungserscheinungen auslösen. Das Risiko ist in Ländern höheren Einkommensniveaus, die noch OPV verwenden, besonders hoch bei der ersten OPV-Dosis und bei Impfungen vor dem ersten Geburtstag. Das Risiko einer Kinderlähmung durch die Schluckimpfung selbst liegt für den Geimpften bei ca. 1 : 250.000 (WHO 2022).

  • vaccine-derived polioviruses/VDPV: gerade in Ländern mit niedriger Durchimpfungsrate können ausgehend von den Impfviren der OPV Polio-Viren entstehen (u.U. durch genetische Rekombination mit anderen Magen-Darm-Viren), die dann in der Bevölkerung zirkulieren (cVDPV) und Polio-Erkrankungen auslösen können (WHO 2022). Die Mehrzahl der weltweiten Poliofälle der letzten Jahre und Jahrzehnte waren ausgelöst durch VDVP: so standen weltweit zwischen 2016 und 2021 1818 Fällen von cVDPV nur 273 Fälle von Wildvirus-Erkrankungen gegenüber (DÄ 2023b). Um dieses Problem zu lösen wurden neue OPV-Impfstoffe entwickelt (nOPV), bei denen das Risiko von Rückmutationen geringer sein sollte - mittlerweile wurden aber auch cVDPV-Fälle dokumentiert, die durch nOPV2-Impfstoffe ausgelöst wurden (DÄ2023a).

Wegen des Risikos von VAPP und VDPV wurden in den meisten Ländern der nördlichen Hemisphäre Ende des 20. Jahrhunderts die OPV-Impfstoffe durch injizierbare Impfstoffe ersetzt, die inaktivierte Impfviren aller drei Serotypen enthalten (IPV).

Nach einer Grundimmunisierung mit drei Impfdosen werden Serokonversionsquoten von über 90% erreicht, höhere bei einem Impfbeginn ab der 10. Lebenswoche und bei einem Abstand zwischen den ersten beiden Dosen von mindestens 9 Wochen. (WHO 2022).

IPV erreicht vor allem eine humorale Immunität über entstehende Antikörper im Blut und nur eine sehr eingeschränkte Immunität der Darmschleimhaut: Aufnahme, Ausscheidung und Weiterverbreitung der Polio-Viren über den Darm werden nicht zuverlässig verhindert. Erhalten Kinder nach einer IPV eine OPV so scheiden sie diese Impfviren genauso lange aus, wie vorher ungeimpfte Kinder. Daher ist mit einer IPV keine zuverlässige Herdenimmunität erreichbar. Auch in hochprozentig IPV-geimpften Bevölkerungen können Polio-Wildviren (WPV) lange unbemerkt zirkulieren, ohne dass Erkrankungsfälle auftreten (so geschehen in Israel 2013).

Aus diesem Grund wurde und wird in vielen Ländern eine Kombinationsstrategie aus IPV und OPV eingesetzt: initiale IPV-Gaben erzeugen eine Grundimmunität des Geimpften, die dann folgenden OPV-Gaben komplettieren diese und erreichen über die Immunität der Darmschleimhaut einen Herdenschutz.

Eine einmal durch Impfung oder Infektion erworbene Immunität (drei Dosen plus ein booster) schützt lebenslang vor Krankheitsverläufen mit Lähmungserscheinungen, auch wenn die messbaren Antikörperspiegel im Laufe der Zeit nicht mehr nachweisbar sein sollten (WHO 2022).

Nebenwirkungen der IPV

  • Die IPV ist bis jetzt ohne ernstere spezifische UAW.