Viele der grundlegenden Fragen zum Impfen lassen sich nur durch eine mittel- bis langfristige Vergleichsstudie geimpfter und ungeimpfter Kinder beantworten, die deren Entwicklung und Gesundheitszustand regelmäßig, umfassend und - vor allem - wissenschaftlich einwandfrei begleitet und dokumentiert. Immer wieder werden solche Studien initiiert, keine von ihnen kann bis heute wissenschaftlich überzeugen. Jetzt erschien ein neuer Versuch, veröffentlicht von Brian Hooker (Hooker 2020), einem Bioingenieur an einer christlichen Privatuniversität in den USA, der als Ansprechpartner des CDC-whistleblowers in dem umstrittenen Film "Vaxxed" von Andrew Wakefield bekannt wurde.

{slider Methodik}

Hooker verwendete Daten aus drei amerikanischen Kinderarztpraxen zu den Diagnosen Asthma bronchiale, Entwicklungsverzögerung, Ohrinfektionen, Magen-Darm-Infektionen und - als "Kontrolldiagnose" (s.u.) Kopfverletzungen. Die Häufigkeit dieser Diagnosen wurde den Patientenunterlagen entnommen und in Beziehung zum Impfstatus der Kinder ausgewertet. Berücksichtigt wurden nur Diagnosen, die nach dem Zeitpunkt "erster Geburtstag plus 15 Tage" gestellt wurden.

Als geimpft galten in dieser Studie Kinder, die bis 15 Tage nach ihrem ersten Geburtstag mindestens eine Impfdosis erhalten hatten, die Anzahl der verabreichten Impfdosen wurde den Patientenakten entnommen. Welche Impfungen verabreicht wurden, ließ sich den Aufzeichnungen der Praxen nicht entnehmen.

Hooker nahm vier statistische Analysen vor, die er ausführlich dokumentiert: zum einen die Untersuchung der Diagnosehäufigkeit in den beiden Gruppen "geimpft" bzw. "ungeimpft". Dann quantifizierte er bei den Geimpften die Zahl der Impfdosen bis zum "ersten Geburtstag plus 15 Tage" in so genannten Quartilen (1 - 5, 6 - 10, 11 - 12 und mehr als 13 Impfdosen) und untersuchte den Zusammenhang zwischen der Diagnosehäufigkeit und der Anzahl der Impfdosen nach diesen Quartilen. Die dritte Analyse untersuchte die Diagnosen in Bezug auf den Impfstatus in bestimmten Altersstufen (bis 6 Monate, bis 1 Jahr, bis 18 Monate, bis 2 Jahre) und schließlich erweiterte Hooker in einer vierten Analyse den Beobachtungszeitraum von den ursprünglich drei ersten Lebensjahren auf die ersten fünf Jahre, um mehr Zeit für die Diagnosestellung zu erlauben.

Die Rolle der "Kontrolldiagnose"

Es ist dies eine retrospektive Kohortenstudie, die wie jede Kohortenstudie methodenbedingt einige Einschränkungen und Fallstricke mit sich bringt. Die Studie untersucht rückblickend bestimmte Personengruppen ("Kohorten") auf Korrelationen bestimmter Ereignisse ("Impfung" und "Asthma" z.B.), weil hier der Verdacht auf einen ursächlichen Zusammenhang besteht. Findet man zwischen diesen Ereignissen eine Korrelation (also ein auffällig gleichsinniges Auftreten über die Zeit), könnte (!) dies ein Hinweis auf einen ursächlichen Zusammenhang sein (dieser kann in einer solchen Kohortenstudie niemals bewiesen werden).

Um eventuelle systematische Fehler in der Methodik möglichst aufzudecken, verwendet man in derartigen Studien gerne eine Kontrolldiagnose, von der niemand einen ursächlichen Zusammenhang annimmt (hier: "Impfung" und "Kopfverletzung") - fände man auch hier eine eindeutige Korrelation, wäre dies als Hinweis auf einen möglichen methodischen Fehler zu werten.

{slider Ergebnisse}

Eine Impfung vor dem ersten Geburtstag war in der Analyse mit einem deutlich höheren Risiko für Asthma, Entwicklungsverzögerung und Ohrinfektionen verbunden, nicht jedoch für Magen-Darm-Infekte oder Kopfverletzungen.

Bei der Quartilenanalyse zeigten alle vier Diagnosen eine erhöhtes Risiko in der dritten und/oder vierten Quartile (also bei den Kindern mit mehr Impfungen) verglichen mit der ersten Quartile (die die Kinder mit weniger Impfdosen umfasst).

Speziell beim Asthma war die Risikozunahme Geimpfter im Vergleich zu Ungeimpften in der ersten Quartile (also: geimpft, aber ≤ 5 Impfdosen) nicht signifikant, in allen anderen Quartilen schon. Dies könnte darauf hinweisen, dass hier die Zahl der Impfungen entscheindender ist, als die Frage, ob überhaupt schon im ersten Lebensjahr geimpft wird.

Die Kontrolldiagnose Kopfverletzung zeigt keine in ihrer Häufigkeit keine Abhängigkeit von den Quartilen.

Auch in der Analyse nach Altersgruppen blieb ein signifikanter, ansteigender Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften über alle Altersintervalle hinweg für Entwicklungsverzögerungen, Asthma und Ohrinfektionen.

Hier fand sich allerdings auch ein signifikanter Unterschied bei der Kontrolldiagnose in der Altersgruppe 18 Monate, was ein Hinweis auf methodische Probleme sein kann.

Die vierte Analyse mit dem erweiterten Beobachtungszeitraum bestätigte die signifikanten Unterschiede der ersten.

{slider Probleme und offene Fragen}

Das Problem der gewählten Diagnosen

Hooker entnimmt die untersuchten Diagnosen aus den Patientenakten der Arztpraxen, vermeidet hier also den entscheidenden Fehler der Mawson-Studie, sich bei der statistischen Auswertung auf Selbsteinschätzung der betroffenen Eltern zu stützen (s. hier). Bei den Diagnosen "Ohrentzündung", "Magen-Darm-Infekt" und der Kontrolldiagnose "Kopfverletzung" schafft dies unter Umständen ausreichende Sicherheit als Basis für eine Analyse. Bei "Asthma bronchiale" und "Entwicklungsverzögerung" jedoch entstehen zwangsläufig große diagnostische Unschärfen: beide Diagnosen werden von (Kinder-)ärzten keineswegs nach einheitlichen Kriterien gestellt. Zwar gibt es für beide Erkrankungen Definitionen von ärztlichen Fachgesellschaften oder von der WHO, aber allein derer gibt es eine größere Anzahl und auch wenn sie inhaltlich natürlich große Überschneidungen aufweisen, sind sie keineswegs deckungsgleich. Für eine Studie, die Daten zu solchen Diagnosen aufwändig statistisch aufbereitet, ist eine explizite Definition der verwendeten diagnostischen Kriterien eine conditio sine qua non. Leider sucht man sie bei Hooker vergeblich.

Dies ist auch angesichts der Tatsache wichtig, dass es sich hier offensichtlich um Arztpraxen handelt, die - trotz der in vielen Bereichen de facto-Impfpflicht in den USA einen nennenswerten Teil spät- oder ungeimpfter Patienten betreuen. Nur ein klar definiertes diagnostisches Instrumentarium schützt auch die Ärztinnen und Ärzte selber davor, durch eventuell (unbewusst) unterschiedliche diagnostische Maßstäbe einen systematischen Fehler in die Untersuchungen zu bringen.

Gerade auch beim Asthma bronchiale ist ein Diagnosekriterium das wiederholte Auftreten von Episoden bronchial bedingter Atemnot. Damit hängt die Diagnose auch von der Anzahl der Arztbesuche im Krankheitsfall ab, und hier liegt ein weiterer Schwachpunkt der Arbeit:

Das Problem des "healthcare-seeking behaviour"

Es gibt klare Hinweise darauf, dass Eltern, die ihre Kinder ungeimpft oder verglichen mit den jeweiligen Empfehlungen unvollständig geimpft lassen, auch insgesamt signifikant seltener Arztbesuche wahrnehmen (Glanz 2013) - ein Phänomen, dass auch in der Mawson-Studie auffiel, die immerhin aufführte, dass die ungeimpften Kinder seltener zu Vorsorgeuntersuchungen vorgestellt wurden, als die geimpften. Dies könnte dazu führen, dass auch die gesuchten Diagnosen bei den Kindern mit den häufigeren Arztbesuchen (also: den geimpften) häufiger erhoben werden.

Hooker thematisiert dieses Problem eingehend, das schützt aber nicht vor dem möglichen, unter Umständen deutlich verzerrenden Effekt dieser Tatsache auf die analysierten Daten.

Das Problem: welche Impfung wann?

Hooker selber führt die Arbeiten Aabys und Anderer an, die den entscheidenden Unterschied zwischen Lebendimpfungen auf der einen und Nicht-Lebendimpfungen auf der anderen Seite in ihren Effekten auf das Immunsystem fanden und differenziert darstellten. Auch - und auch darauf weist Hooker hin - die Reihenfolge von Lebend- und Nicht-Lebendimpfungen scheint nach jetzigem Kenntnisstand eine wesentliche Rolle für die unspezifischen immunologischen Auswirkungen von Impfstrategien zu spielen. Hooker räumt aber ein, dass diese Studie keinerlei Informationen dazu enthält, welche Impfungen an den dokumentierten Terminen verabreicht wurden... .

Auch hier wird ein Problem offensiv eingeräumt, dessen Tragweite unter Umständen einen systematischen Fehler für die differenzierten Analysen bedeuten könnte.

Das Problem sonstiger "confounder"

Völlig außer Acht gelassen wird, dass gerade Diagnosen wie "Asthma bronchiale" und "Entwicklungsverzögerungen" multifaktorielle Erkrankungen beschreiben, bei deren Entstehung auch die Lebensumstände jenseits des Impfkalenders eine Rolle spielen. Es könnte ja sein, dass sich die betrachteten Gruppen Geimpfter und Ungeimpfter auch in anderen für die Krankheit vielleicht entscheidenden Punkten signifikant unterscheiden: die Frage nach Rauchen/Nicht-Rauchen, Wohnbedingungen, Sozialstatus, Kinderbetreuung in Gemeinschaftseinrichtungen, frühkindliche Förderung, Ernährungsgewohnheiten, Antibiotikagebrauch, ... . Etwas also, was außerhalb des Fokus dieser Studie liegt, aber dennoch deren Ergebnis in eine Richtung beeinflusst (Epidemiologen nennen so etwas "confounder").

Das Problem Mawson

Bei aller offensichtlichen Nähe in der inhaltlichen Position zwischen Hooker und Mawson: Hooker zitiert die wissenschaftlich indiskutable Arbeit Mawsons, als wäre sie mit den Studien Aabys und Anderer seriöser Wissenschaftler vergleichbar. Abgesehen davon, dass sie es definitiv nicht ist (s. hier), gehörte es in einer seriösen wissenschaftlichen Publikation unerlässlich dazu, darauf hinzuweisen, dass die Veröffentlichung Mawsons erstens von vorne herein bei so genannten "predatory publishers" veröffentlicht und selbst dort mittlerweile wiederholt (!) zurückgezogen wurde (snopes.com 2017) - dies trotz mehrfachen Zitierens nicht zu erwähnen, hinterlässt einen mehr als deutlichen haut goût.

{slider Résumée}

Wie schon Mawson stellt Hooker mit seiner Arbeit entscheidende und bisher unverantwortlicherweise noch nicht einmal im Ansatz beantwortete Fragen:

  • Was sind die mittel- und vor allem die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen der modernen Impfprogramme und -strategien?

  • Sind heute empfehlungskonform geimpfte Kinder in 20, 30 oder 50 Jahren tatsächlich die gesünderen Erwachsenen?

Angesichts der sich mittlerweile verdichtenden Hinweise auf Auswirkungen von Impfungen und Impfprogrammen, die sich weit jenseits der eigentlichen, gewünschten Wirksphäre im Bereich der so genannten unspezifischen Impfeffekte abspielen, ist es unerlässlicher denn je, hier endlich zu beginnen, Antworten zu suchen. Das Ausblenden dieser Phänomene ist mit "Scheuklappen" oder "blinden Flecken" längst nicht mehr hinreichend beschrieben: nur systematisches, willkürliches Partialerblinden der Verantwortlichen in Industrie und Politik kann hier eine Erklärung liefern.

Es ist der große Wert von Hookers Arbeit, hier einmal mehr den Finger in eine klaffende Wunde gelegt zu haben - und anders als Mawsons Papier liefern seine Analysen ernstzunehmende Signale, die - bei aller aufgezeigten Angreifbarkeit - unbedingt geklärt gehören.

Hooker scheitert aber - bei aller statistischen Professionaliät und Rafinesse - an den basalen medizinischen Grundlagen einer solchen Erhebung. Wenn hier so gravierende Unsicherheiten und Anfälligkeiten für systematische Verzerrungen ("bias") zwar erkannt, aber nicht beseitigt werden, ist die dann so begrenzte Aussagekraft der Ergebnisse den rechnerischen Aufwand kaum wert.

Dies ist umso schwererwiegend, weil damit die der Studie innewohnenden so wichtigen Signale und Forschungsimpulse nur allzuleicht vom Tisch gefegt werden können...

{slider Literatur}

Glanz JM. 2013. JAMA Pediatr 2013; 167(3): 274–281.

Hooker BS. 2020. SAGE Open Medicine. https://doi.org/10.1177/2050312120925344. Abruf 03.07.2020

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