Von impfkritischer Seite wird immer wieder argumentiert, das normale Durchmachen klassischer Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps oder Röteln habe für die betroffenen Kinder einen hohen Wert, sei häufig mit einem Entwicklungs- oder Reifungsschub verbunden.
Naturgemäß lassen sich diese Aspekte einer Erkrankung kaum wissenschaftlich fassen, so dass hierzu wenig gesicherte Untersuchungen sondern vor allem Einzelfallberichte und Einzelbeobachtungen vorliegen. Die wenigen Studien zu diesem Thema zeigen Folgendes:
Untersuchungen gibt es hier vor allem zu viralen Infekten der oberen Atemwege: für diese konnte in den letzen Jahren sowohl ein Zusammenhang zu allergischen, autoimmunologischen, als auch zu bösartigen Erkrankungen nachgewiesen werden:
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Fieberhafte Infekte im ersten Lebensjahr gehen mit einer deutlich verminderten Allergiegefährdung im Grundschulalter einher (Williams 2004).
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So vermindern virale Infekte der oberen Luftwege in den ersten 2 Lebensjahren signifikant das Risiko, im späteren Leben an allergischen Atemwegserkrankungen wie Asthma bronchiale zu erkranken (Mutius 1998)
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Auch das Risiko, im späteren Leben an Multipler Sklerose zu erkranken sinkt mit der Anzahl der Geschwister eines Kindes und der damit zunehmenden Zahl der von diesen übertragenen frühkindlichen Infektionskrankheiten (Ponsonby 2005).
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Ebenso könnte diesen Infekten ein Schutzeffekt vor bösartigen Erkrankungen zukommen: das Risiko an der im Kindesalter häufigsten Leukämieform (ALL) zu erkranken war umso geringer, je mehr dieser Infekte die Kinder in den ersten Lebensjahren durchgemacht hatten (Gilham 2005).
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Selbst Scharlach scheint eine Schutzwirkung vor allergischen Erkrankungen zu eigen zu sein: das Durchleben von Scharlach senkt einer mexikanischen Studie zu Folge das Risiko, an Asthma zu erkranken (Vargas 2005)
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Auch den „klassischen Kinderkrankheiten“ Masern, Mumps, Röteln und Windpocken kommen offensichtlich eine Reihe positiver Effekte zu:
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So haben Erwachsene, die als Kinder Masern erlebten als Erwachsene ein vermindertes Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken (Albonico 1998)
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Eine amerikanische Studie zeigt, dass Masernviren die Vermehrung von HIV im Körper hemmen (Margolis 2005).
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Durchgemachte Masern scheinen das Risiko späterer allergischer Erkrankungen deutlich zu senken (Rosenlund 2009)
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Das Durchleben von Mumps vermindert bei Frauen signifikant das Risiko, im Erwachsenenalter an Eierstockkrebs zu erkranken (West 1966, Newhouse 1977)
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Kinder, die Windpocken durchgemacht haben, erkranken verglichen mit Windpockengeimpften wenn dann später und wesentlich leichter an Asthma bronchiale und haben eine geringere Allergiebereitschaft (Silverberg 2009)
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Masern, Mumps, Röteln, Windpocken und Keuchhusten im Kindesalter senken signifikant das Risiko, im Erwachsenenalter an einer Chronisch Lymphatischen Leukämie (CLL - eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems) zu erkranken: je mehr von diesen Krankheiten durchlebt wurde, umso geringer ist das Risiko. Keuchhusten halbiert darüber hinaus das Risiko für eine andere, besonders bösartige Form der Leukämie (Akute Myeloische Leukämie - AML) im Erwachsenenalter (Parodi 2013).
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Die Gesamtzahl von Infektionen in den ersten Lebensjahren überhaupt (erhöht z.B. durch eine größere Zahl von Geschwistern) senkt signifikant das Risiko, im späteren Leben an Multipler Sklerose zu erkranken - das Immunsystem gewinnt offenbar an Kompetenz, was sich auch an einer moderateren Reaktion dieser Kinder auf z.B. das Ebstein-Barr-Virus (verantwortlich für das "Pfeiffersche Drüsenfieber") zeigt (Ponsonby 2005).
Literatur:
Albonico HU. Med Hypotheses 1998;51(4):315-20
Gilham C. BMJ, doi:10.1136/bmj.38428.521042.8F (published 22 April 2005)
Margolis B. J Infect Dis 2005;192:71-78.
Mutius E. Schweiz Med Wochenschrift 1998 Nov 21;128(47):1833-9.
Newhouse ML. Br J Prev Soc Med 1997;31:148-53
Parodi S. Int J Cancer. 2013 Oct 15;133(8):1892-9. doi: 10.1002/ijc.28205. (Abruf 19.12.2014)
Ponsonby AL. JAMA. 2005;293:463-469
Rosenlund H. Pediatrics 2009 Mar;123(3):771-8
Silverberg JI. Pediatric Asthma, Allergy & Immunology, 2009, Vol. 22, No. 1
Vargas MH. Respir Med. 2005 Jun 6
West R. Cancer 1966;19:1001-7
Williams LK J Allergy Clin Immunol 2004;1113;291-6