"Charakteristisch für das frühe Kindesalter sind unkomplizierte Infektionen der oberen Atemwege" - so beschreibt die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie in ihrem aktuellen Handbuch den Verlauf der Influenza bei Klein- und Schulkindern (DGPI 2018) - warum empfiehlt ihr Vorsitzender, Johannes Hübner, in einem vielzitierten Zeitungsinterview diese Impfung dennoch plötzlich nachdrücklich: "Ich empfehle allen Eltern, ihre Kinder in diesem Jahr gegen Influenza impfen zu lassen" (WELT am Sonntag, 30.08.2020)? (Achtung, Spoiler: Ich weiß es auch nicht...).

{slider Komplikationen der Influenza bei Kinder}

Es spricht Bände, dass bei einer so häufigen Erkrankung wie der Influenza nur sehr wenige Studien jemals untersuchten, wie hoch denn das Komplikationsrisiko verschiedener Altersgruppen ist - so werden Kinder gerne pauschal als Risikogruppe auch für schwerere Verläufe angesprochen, wissenschaftliche Daten hierzu sind allerdings rar. Die wenigen, die vorliegen, wie die systematische Metaanalyse von Mertz et al. aus dem Jahr 2013, stützen diesen Narrativ nicht:

"Children aged less than 5 years were at lower risk of death (0.40, 0.20 to 0.80, I2=0%, n=8), had lower hospital admission rates, and were less likely to need ventilator support than older children but were at higher risk of developing pneumonia. When very young children (<2 years of age) were compared with the other age groups, they were at significantly lower risk for admission to hospital, admission to an intensive care unit, and the need for ventilator support" (Mertz 2013). 

Gerade die oft als Risikopatienten genannten Kinder in den ersten zwei Lebensjahren haben also - verglichen mit anderen Altersgruppen - offensichtlich ein deutlich vermindertes Risiko ("significantly lower risk") schwerer Verläufe.

{slider Wirksamkeit der Influenzaimpfung bei Kindern}

Eine systematische Metaanalyse der Influenzaimpfung bei Kindern der damals noch renommierten Cochrane-Collaboration von 2018 (Datenstand 2016) fand als Effekt der beiden bei Kindern verwendeten Influenza-Impfstofftypen ein relatives Risiko an Influenza zu erkranken von 0,22 (nasal verabreichter Lebendimpfstoff) bzw. 0,36 (gespritzer inaktivierter Impfstoff - dieser entspricht im wesentlichen dem Erwachsenenimpfstoff); damit wäre das Erkrankungsrisiko auf etwa fast ein Fünftel bzw. knapp ein Drittel reduziert verglichen mit ungeimpften Kindern (Jefferson 2018).

Bei der häufigsten bei Kindern beschriebenen Komplikation, der Mittelohrentzündung fand sich für keinen der Impfstofftypen eine sichere Wirksamkeit, für das Beurteilen schwerer Krankheitskomplikationen konnten keine verlässlichen Daten gefunden werden. Ebensowenig fanden sich Daten zur Verminderung von Schul-Fehltagen oder elterlichen Pflegetagen durch die Impfung.

{slider Nebenwirkungen der Influenzaimpfung bei Kindern}

Die Influenzaimpfung gehört ohnehin zu den am schlechtesten verträglichen Impfstoffen (s. hier) - für Kinder bestehen zusätzlich noch wissenschaftlich gut fundierte Verdachtsmomente auf psychiatrische Nebenwirkungen in Form von Essstörungen (Anorexia nervosa - s. hier) - die Anorexia nervosa ist die psychiatrische Erkrankung im Kindesalter mit der höchsten Sterblichkeit.

Und ein Blick in die Geschichte der Influenzaimpfstoffe sollte auch Impfeuphoriker zurückhaltend werden lassen: es waren Kinder und Jugendliche, die die Last schwerster Nebenwirkungen des (auch durch Christian Drosten ausgelösten) Impfhypes bei der so genannten Schweinegrippe-Pandemie 2009/2010 tragen mussten (s. hier).

{slider Influenzaimpfung und Herdenimmunität}

Die Frage der Herdenimmunität (s. hier) und vor allem der dafür notwendigen Durchimpfungsraten ist für die Influenzaimpfung noch wesentlich schwerer zu beantworten, als für andere Impfungen, da die Herdenimmunitätsschwelle immer stark von der Impfstoffeffektivität, der effektiven Reproduktionszahl und der natürlichen, vorbestehenden Immunität abhängen und diese Faktoren bei der Influenza wie bei keiner anderen Erkrankung extremen Schwankungen unterworfen sind - dies führt zu so übersichtlichen und leicht zu erfassenden Darstellungen wie der in der Arbeit von Plans-Rubió von 2012, in der dieser versucht, die für eine Herdeimmunität notwendige Durchimpfungsrate in Abhängigkeit von Impfeffektivität und Bevölkerungsimmunität darzustellen... :

Plans Rubio 2012

Es existieren zwar (von Impfstoffherstellern gesponserte) Studien, die einen Effekt von Influenza-Impfungen bei Kindern auf die Ausbreitung der Erkrankung in der Gesamtbevölkerung nachweisen (Loeb 2010), insgesamt fasst die STIKO die Datenlage zur behaupteten Schutzwirkung von (älteren) Risikopatienten durch die Impfung von Kindern auf ihrer 95. Sitzung zutreffend und knapp zusammen:

"Die Datenlage bzgl. des Ausmaßes Gemeinschaftsschutzes durch eine Kinderimpfung ist nicht klar." (STIKO-Protokoll 95. Sitzung 2020).

{slider Die Sicht der STIKO}

Die STIKO hat sich auf ihrer 95. Sitzung ausführlich mit dem Thema Influenzaimpfung bei Kindern beschäftigt - und diese unverändert nicht allgemein empfohlen.

Und die im Moment gebetsmühlenartig wiederholte Influenza-Impfpropaganda angesichts der COVID-19-Epidemie hat die STIKO zu einer eigenen Stellungnahme veranlasst, die mit dem Beklagen dieser versuchten Einflussnahme auf die Kommission beginnt: "Von verschiedenen Seiten wird derzeit die Meinung geäußert und an die STIKO herangetragen, dass die Indikation für eine Influenzaimpfung auf die gesamte Bevölkerung ausgeweitet werden sollte." und sich dieser versuchten Vereinnahmung erfolgreich widersetzt: die STIKO erteilt einer Ausweitung der Impfempfehlung auf die gesamte Bevölkerung und damit auch auf Kinder eine klare Absage "Die Schutzeffekte für die Gemeinschaft durch Impfung von Nicht-Risikogruppen werden aufgrund von kontaktreduzierenden Maßnahmen im Rahmen der COVID-19-Bekämpfung von begrenzter Wirkung sein. […] Koinfektionen durch SARS-CoV-2 und Influenzaviren wurden in der Literatur beschrieben, deuten bislang jedoch nicht auf schwerere Verlaufsformen für COVID-19 in Nicht-Risikogruppen hin, so dass derzeit eine generelle Impfempfehlung auch in Bezug auf dieses mögliche Impfziel nicht evidenzbasiert begründet werden kann." (RKI 2020).

Es ist über die Maßen erfreulich, lobenswert und beruhigend, dass die für diese Fragen zuständige STIKO hier ihren eigenen wissenschaftlichen Prinzipien (sie verweist in dem Influenza-Papier ausdrücklich auf die festgeschriebenen wissenschaftlichen Standard-Vorgehensweisen (SOP), die ihren Entscheidungen zu Grunde liegt) treu bleibt und sich fragwürdig motivierten tagespolitischen Forderungen widersetzt.

{slider Und Superjens Spahn?}

Den ehemaligen Pharmalobbyisten Spahn (Lobbycontrol 2013) interessiert diese wissenschaftsorientierte, evidenzbasierte Position der seinem Ministerium angegliederten Kommission herzlich wenig - wenn "seine" STIKO keine ihm genehmen Empfehlungen herausgibt, sucht er sich halt andere Verbündete im Geiste, um für die Influenzaimpfung bei Kindern zu werben ("Jeder, der sich und seine Kinder impfen lassen will, sollte und kann das tun." (WELT 31.08.2020))... und er findet sie z.B. in Herrn Hübner (der - als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrie - immerhin bezahlter Berater des Impfstoffherstellers Pfizer ist...) (AWMF 2019).

Denn eines darf nicht vergessen werden: die Influenzaimpfung mit ihrer immanenten jährlichen Wiederholungsbedürftigkeit ist die für die Herstellerfirmen die lukrativste Impfung überhaupt...

{slider Literatur}

AWMF. 2019. Akute infektiöse Gastroenteritis im Kindesalter (AWMF Registernummer 068/003) - Leitlinienreport. Abruf 01.09.2020

DGPI. 2018. DGPI-Handbuch. Thieme Verlag, Stuttgart.

Jefferson T. 2018. Vaccines for preventing influenza in healthy children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2018, Issue 2.

Loeb M. 2010. JAMA 303; 943-50

Mertz D. 2013. BMJ. 347(aug23 1):f5061–f5061

Plans-Rubió P. 2012. Preventive Medicine 55; 72–77

RKI. 2020. EpiBull 32/33 2020.

STIKO. 2020. Protokoll der 95. Sitzung. Abruf 01.09.2020

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