Die Befürchtungen Vieler, das so genannte Masernschutzgesetz sei nur der Einstieg in ein (zumindest beim Impfen) totalitäreres Gesundheitssystem, erhalten mit einem Interview von Hans-Iko Huppertz, dem Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin eV, neue Nahrung (Medical Tribune 2020).

Für ihn haben impfskeptische Ärzte den "Boden der wissenschaftlichen Medizin verlassen", spätestens wenn sie dann auch noch gegen (einzelne?) Impfungen aufträten, seien sie "schwarze Schafe", denen man "das Handwerk legen müsse". Man müsse ihnen, so Huppertz wörtlich, "so viel Druck machen, dass sie damit aufhören und zur wissenschaftlichen Medizin und dem Wohl der Kinder zurückkehren". Hier seien auch die Ärztekammern gefordert, "im Extremfall den Entzug der Approbation" [also der Zulassung zum ärztlichen Beruf] anzudrohen.

Huppertz zitiert ausdrücklich die WHO mit ihrer Einschätzung, Zurückhaltung beim Impfen sei eine genauso gravierende Bedrohung für die Menschheit wie die Klimakatastrophe  - offenbar teilt er den dieser wissenschaftlich unhaltbaren Behauptung zu Grunde liegenden simplifizierenden Rigorismus  (eine ausführliche und differenzierte Auseinandersetzung mit der Position der WHO finden Sie hier).

Die Sprache, derer sich Huppertz bedient, verrät ein zutiefst irritierendes Verständnis erstens der von ihm selber so sehr geforderten Wissenschaft und zweitens eines zeitgemäßen Arzt-Patient-Verhältnisses  - und dies bei einem der wichtigsten kinderärztlichen Berufsfunktionäre in Deutschland:

  • kein Wort vom Fehlen eines wissenschaftlichen Konsenses beim Impfen - 28 EU-Staaten empfehlen 28 verschiedene Impfstrategien und 90% allein der europäischen Kinder sind eben nicht nach den Empfehlungen der deutschen STIKO geimpft - Huppertz' borniertem Weltbild zu Folge sind all die niederländischen, dänischen und norwegischen Ärztinnen und Ärzte offensichtlich latent kriminelle ("das Handwerk legen") Häretiker, die nötigenfalls auch mit Drohungen in den Schoß der wissenschaftlichen Medizin (wie Huppertz sie versteht) zurückgeführt werden müssten ... .

  • kein Wort von den Problemen, die gerade die Impfologie hat, den Anforderungen einer modernen evidenzbasierten Medizin gerecht zu werden (s. z.B. STIKO 2018, S. 2).

  • kein Wort vom medizinethischen Konsens einer "partizipativen Entscheidungsfindung" ("shared decision making" SDM), bei der sich Ärztinnen/Ärzte und Patienten bzw. Eltern auf Augenhöhe gemeinsam um ein für den Einzelnen optimales medizinisches Vorgehen bemühen (Stiftung Gesundheitswissen 2018).

Huppertz sichert sich mit diesem Interview einen Platz im Walhalla anderer Möchtegern-Inquisitoren wie Frank Montgomery (aktuell Präsident des Weltärztebundes), der impfkritische Ärztinnen und Ärzte weg vom Patienten zum Frondienst auf die Galeeren medizinischer Gutachtenschreiber verbannen möchte (s. hier) oder Wolfram Henn (Mitglied des Deutschen Ethikrates) der ganze europäische Regionen unter den Generalverdacht der Kindswohlgefährdung stellt, weil z.B. weder in Dänemark, noch in Schweden oder Norwegen gegen Windpocken geimpft wird, Nicht-Impfen laut Henn aber "objektiv" diesen Straftatbestand erfülle (Deutschlandfunk Nova 2019).

Eine für einen Staat mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und dem dieser zu Grunde liegenden Menschbild hochgefährliche Mischung aus einem (hier quasi-) religiösen Fanatismus, aus einer gegen die Vorstellung eines möglichen Pluralismus immunen Selbstgerechtigkeit, einem von wissenschaftlichen Fakten weitgehend ungetrübten simplifzierten Weltbild und einem Hang zu drakonischer Sprache und Forderung - genau diese Mischung, die diese Herren eint (und die Brücke zu unseligen historischen Vorbildern schlägt) hat in der Geschichte den Fortschritt von Wissenschaft und Erkenntnis schon früher nicht unbedingt befördert... .

Literatur

DLF Nova. 2019. Nicht Impfen ist Kindeswohlgefährdung. Abruf 19.01.2020

Medical Tribune. 2020. Jeder Fünfte will sein Kind nicht impfen lassen. Abruf 19.01.2020

RKI/STIKO. 2018. SOP der STIKO. Abruf 19.01.2020

Stiftung Gesundheitswissen. 2081. Auf Augenhöhe mit dem Arzt? Abruf 19.01.2020