Der Bestimmung des Antikörper-Titers nach Hepatitis B-Impfung kommt unter mehrfacher Hinsicht eine besondere Bedeutung zu:

Aufgrund der langen Inkubationszeit einer Hepatitis B-Infektion (also der Zeit, die zwischen der Ansteckung und dem Ausbruch der Krankheit vergeht), kommt dem zellulären Immunsystem (näheres hierzu siehe hier) mit dem dort verankerten immunologischen Gedächtnis eine besondere Bedeutung zu. Durch seine Reaktivierung ist ein effektives Verhindern einer Hepatitis B-Erkrankung auch dann möglich, wenn die unmittelbar nach der Impfung gemessenen Anti-HBs-Antikörper eventuell schon deutlich abgesunken, ja eventuell gar nicht mehr nachweisbar sein sollten (Coursaget 1994, Milne 1992, van Hattum 1991, Wainwright 1991, Chan 1990, Horowitz 1988, Francis 1982, Szmuness 1981):

Und in der "Bibel der Impfologie", dem Werk "Vaccines" schreiben (und belegen) die Autoren im Jahr 2018:

Wie bei jeder Impfung reagieren auch bei der Hepatitis B-Impfung nicht alle Geimpften mit einer messbaren Immunität auf die reguläre Grundimmunisierung. Da wie oben erwähnt der nachgewiesene Schutz gegen Hepatitis B anders als bei anderen Impfungen aber in vielen Bereichen Bedingung für eine Berufsausübung ist, gibt es hier besonders gut untersuchte Strategien, diese so genannten "Non-Responder" doch noch zu einer messbaren Antikörper-Antwort zu bewegen - in den meisten Fällen mit Erfolg. Bis zu 50% von ihnen entwickeln schon nach einer zusätzlichen Impfung schützende Antikörper, bis zu 70% nach einer zusätzlichen, aus nochmals drei Impfdosen bestehenden Immunisierung (Kim 2003, Clemens 1997, Goldwater 1997, Craven 1986). Ein kleiner Teil von Geimpften (< 5%) ist mit den aktuell verfügbaren Hepatitis B-Impstoffen jedoch nicht mit messbarem Erfolg immunisierbar - neben genetischen Faktoren gibt es hier eine Reihe bekannter Risikofaktoren, die eine Nicht-Reaktion auf die Impfung begünstigen (Alter > 40 Jahre, Übergewicht, Rauchen,...) (van Damme 2018).

Speziell für Beschäftige im Gesundheitsbereich (die regelmäßig und nur begrenzt steuerbar Kontakt mit potentiell ansteckenden Körperflüssigkeiten Unbekannter haben) ist von höchstem persönlichen und eben auch arbeitsrechtlichen Interesse, idealerweise vor Beginn der Berufstätigkeit sicher zu wissen, ob sie nach Impfung (z.B. im Kindes- oder Jugendalter) gegen Hepatitis B geschützt sind oder nicht.

Zeigt eine Antikörperbestimmung bei der Einstellungsuntersuchung hier einen Antikörperspiegel < 10 IU/l, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob entweder die frühere Grundimmunisierung erfolgreich war (und damit eine nicht messbare, aber entscheidende zelluläre Immunität entstanden ist) und der AK-Spiegel nur über die Jahre abgesunken ist (dann wäre von Schutz auszugehen), oder ob es sich um ein primäres Nicht-Ansprechen handelt ("Non-Responder" - dann bestünde kein sicherer Schutz). Die amerikanischen Gesundheitsbehörden empfehlen hier ein pragmatisches Vorgehen: entsteht in dieser Situation nach einer nochmaligen Hepatitis B-Impfung ("challenge dose") ein AK-Titer > 10 IU/l, bestand ein immunologisches Gedächtnis und damit Schutz, der mit dieser nochmaligen Impfung ein für alle Mal angenommen werden kann. Hier muss auch zukünftig, selbst bei vermutetem Kontakt mit infektiösem Material, nichts mehr unternommen werden: "Healthcare personnel who respond to the challenge dose do not require additional management, even if exposed." (CDC 2015).

Natürlich und ausdrücklich geht das CDC bei der Frage, ab welchem AK-Titer von Schutz auszugehen ist, von der in der internationalen Literatur üblichen Grenze von 10 IU/l (bwz. 10 mIU/ml) aus.

Auch die WHO geht (nicht nur, aber auch) für Beschäftigte im Gesundheitssystem von diesem Grenzwert aus und macht sich die Position der CDC ausdrücklich zu eigen (WHO 2005). Sie geht in eigenen Veröffentlichungen ebenfalls von einem Schutz ab 10 IU/l aus:

 

Die deutschen Gesundheitsbehörden sehen das grundlegend anders:

Nach den aktuellen Empfehlungen der STIKO/des RKI (RKI 2013) ist erst ein AK-Spiegel > 100 IU/l (also das Zehnfache des international üblichen Wertes) als Ausdruck einer erfolgreichen Impfung und eines bestehenden Schutzes anzusehen. Geimpfte mit Titerwerten von 10 - 99 IU/l gelten für die STIKO "Low-Responder", die mit einer "sofortigen weiteren Impfdosis" versehen werden müssen. (Es ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant, dass weder einschlägige Enzyklopädien (wie "Vaccines" von Plotkin/Orenstein/Offit), noch die Publikationen des CDC den Begriff des Low-Responders im Zusammenhang mit der Hepatitis B überhaupt kennen...).

Die STIKO zitiert im entsprechenden Epidemiologischen Bulletin (RKI 2013) zahlreiche Studien, von denen alle methodisch aussagekräftigen und die aktuellen Hepatitis B-Impfstoffe betreffenden einmütig zu der Aussage kommen: ein Anti-HBs-Antikörperspiegel von > 10 IU/l schützt zuverlässig über Jahre und Jahrzehnte hinweg vor der Erkrankung an einer akuten oder chronischen Hepatitis B.

Aber: eine ältere Untersuchung, die unter Mitwirkung eines ehemaligen STIKO-Mitglieds erstellt wurde (Huzly 2008) kam zu dem Ergebnis, dass die 2008 untersuchten Labor-Tests zur Bestimmung des Antikörper-Spiegels in ihren Ergebnissen untereinander nur begrenzt vergleichbar sind und bei Untersuchung von Serumproben mit verschiedenen Testverfahren Abweichungen von einander auftraten. Aus diesem (und nur aus diesem) Grund hält es die STIKO für notwendig, im internationalen Fast-Alleingang als quasi Sicherheitspuffer den Grenzwert zu verzehnfachen.

Dieses Problem besteht (bestand? Die Studie ist 10 Jahre alt und aktuellere Untersuchugen, die zu vergleichbaren Ergebnissen kämen, fehlen) natürlich überall auf der Welt - und betrifft damit natürlich auch alle Studien, die die Effektivität von Hepatitis B-Impfstoffen untersucht haben.

Und damit wird die Schlussfolgerung der STIKO zum wissenschaftstheoretischen salto mortale:

Denn obwohl die Bestimmung des AK-Titers (in allen Studien) diesen theoretischen Problemen unterlag (und unterliegt?) zeigen eben diese Studien mit klinisch relevanten Endpunkten, dass es sich trotzdem um einen höchstgradig verlässlichen Anhaltspunkt handelt. Mit anderen Worten: es gibt unter dem für die Praxis einzig relevanten Aspekt des Schutzes vor der Erkrankung Hepatitis B keinen ernstzunehmenden Zweifel an der Gültigkeit des Grenzwertes von 10 IU/l . Diesem dann - wie die STIKO es mit ihrer Literaturrecherche tut - die klinische Aussagekraft praktisch uneingeschränkt zu bestätigen, an ihm gleichzeitig aber aus labortheoretischen Verfahrensfragen Kritik zu üben, zäumt das erkenntnistheoretische Pferd von hinten auf... .

Oder, etwas pointierter formuliert: die Studie von Huzly ist eine interessante Erklärung für ein Problem, das (außer der STIKO) niemand hat...

 

Literatur

CDC. 2013. MMWR Vol. 62, No. 10.

CDC. 2015. Pink-Book. Hepatitis B. Abruf 30.06.2018

Chan W. 1990. J. Pediatr. 117:427–430

Clemens R. 1997. Vaccine. 15: 349-352.

Coursaget P. 1994. J. Hepatol. 21: 250–254

Craven DE. 1986. Ann Intern Med.105:356–360.

Francis D. 1982. Ann. Intern. Med. 97:362–366

Goldwater PN. 1997. Vaccine. 15:353–356.

Horowitz M. 1988. Ann. Intern. Med. 108:185–189

Huzly D. 2008. J Clin Microbiol. 46(4): 1298–1306

Kim MJ. 2003. Vaccine. 21:1174–79

Milne A. 1992. J. Infect. Dis. 166:942

Plotkin SA. 2010. Clinical and Vaccine Immunology. July 2010, p. 1055–1065

RKI. 2013. Epidemiologisches Bulletin 36/37.

Szmuness W. Hepatology 1:377–385

van Damme P. 2018. Hepatitis B Vaccines. Plotkin SA. 2018. Plotkin’s Vaccines. Philadelphia: Elsevier. 7th ed.

van Hattum J. 1991. In vitro anti-HBs production by individual B cells of responders in hepatitis B vaccine who subsequently lost antibody. In F. B. Hollinger, S. M. Lemon, and H. S. Margolis (ed.), Viral hepatitis and liver disease. p. 775–776. Williams & Wilkins, Baltimore, MD

Wainwright RB. Arch. Intern. Med. 151:1634–1636

WHO. 2005. Hepatitis B and the Health Care Worker. Abruf 30.06.2018

WHO. o.A.. Position paper HepB. Abruf 30.06.2018