In der Auseinandersetzung mit Krankheitserregern oder Impfstoffen bedient sich unser Immunsystem zweier miteinander zwar eng verzahnter, aber doch grundsätzlich unterschiedlicher Systeme: des "humoralen" und des "zellulären" Immunsystems.

Das humorale Immunsystem beschreibt die Fähigkeit bestimmter Abwehrzellen (so genannte B-Zellen), gegen Krankheitserreger bestimmte Eiweißstoffe ("Immunglobuline/Ig" oder "Antikörper/AK") zu bilden, die dann primär im Blut zirkulieren und dort eingedrungene Viren oder Bakterien bekämpfen. Hier werden zahlreiche unterschiedliche Immunglobuline differenziert, teilweise nach ihrer Funktion, teilweise nach dem Ort ihrer Tätigkeit. Denn es gibt auch Immunglobuline (IgA), die vor allem an den inneren Oberflächen des Körpers, den Schleimhäuten, ihren Dienst tun und "Wanderer zwischen den Welten", also Immunglobuline, die aus dem Blut bei Bedarf an die Schleimhäute beordert werden.

Das zelluläre Immunsystem umfasst Abwehrzellen (so genannte T-Zellen), die primär die Aufgabe haben, Krankheitserreger unmittelbar auszuschalten (vulgo: zu fressen) und solche, die das "immunologische Gedächtnis" bilden und damit die Grundlage einer anhaltenden Immunität nach Krankheit oder Impfung darstellen.

Beide Arten des Immunsystems arbeiten Hand in Hand, so gibt es z.B. von B-Zellen gebildete Antikörper, die es T-Zellen erleichten, Krankheitserreger zu finden und zu fressen und T-Zellen, deren primäre Aufgabe es ist, B-Zellen bei der Antikörper-Bildung zu helfen.

Grundsätzlich werden bei Auseinandersetzungen mit Krankheitserregern oder Impfstoffen immer beide Immunsysteme aktiviert, dies allerdings in sehr unterschiedlichem Maße und mit sehr unterschiedlicher Bedeutung - so gibt es Krankheiten/Impfungen wie die (gegen) Tuberkulose, bei denen der humorale Teil der Abwehr praktisch keine Rolle spielt und es gab Impfungen wie die HiB-Impfung der ersten Generation (nicht mehr in Verwendung!), die im Gegenzug fast ausschließlich über das humorale Abwehrsystem wirkte (Plotkin 2001).

Stellt sich jetzt aus welchen Gründen auch immer die Frage nach dem Vorhandensein einer Immunität nach durchgemachter Erkrankung oder verabreichter Impfung, ist in der Routinediagnostik nur der humorale Anteil der Abwehr (Immunglobuline/Antikörper) unseren Untersuchungen zugänglich - die Diagnostik der zellulären Immunität ist sehr komplex und aufwändig und spielt nur in Einzelfällen und bei sehr besonderen Fragestellungen eine Rolle. Wir erfassen - und dies ist für die weiteren Überlegungen von großer Bedeutung - also mit der Bestimmung von Antikörpern immer nur einen mehr oder weniger kleinen oder großen Teil der Immunsituation des Körpers bezüglich einer bestimmten Erkrankung/Impfung - ein wesentlicher Teil der Immunität bleibt hier immer unberücksichtigt.

Bei der Beurteilung der Immunität nach bzw. der Effektivität von Impfungen wird diese entscheidende Einschränkung jedoch wiederum dadurch relativiert, dass (fast) alle aktuellen Impfungen ihre Wirksamkeit primär über die Bildung von Antikörpern entfalten: "Although mucosal and cellular immune responses are clearly important to protection by some vaccines, most vaccines licensed today depend for their efficacy on serum antibodies." (Plotkin 2010 und 2001).

Dies ist nicht zuletzt auch für die Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen von Bedeutung, da diese in diesem Zusammenhang ja ihre Wirksamkeit nachweisen müssen - was ausnahmslos (und in vielen Fällen ausschließlich!) über die Bestimmung der provozierten Antikörper erfolgt. Auch langjährigen STIKO-Mitgliedern scheint dieser Zusammenhang nicht immer präsent, wenn sie die Sinnhaftigkeit von Titerbestimmungen nach Impfungen grundsätzlich in Frage stellen - beruht doch der Wirksamkeitsnachweis der jeweiligen Impfungen eben auf dem Nachweis genau dieser Antikörper-Titer. "Für keine der allgemein empfohlenen sogenannten Basisimpfungen ist routinemäßig eine Kontrolle des Impferfolges vorgesehen oder gar ratsam". (Heininger 2017) bzw. die pauschale Behauptung bezüglich der Masernimpfung, "dass ein positives Laborergebnis keinen Schutz attestiert" (Heininger 2016) - wäre letzteres so, hätte der Impfung im Rahmen der Zulassung auch keine Wirksamkeit attestiert werden können... .


 

Von entscheidender Bedeutung bei dieser Diskussion sind die folgenden Punkte:

 


 

Hier eine Übersicht über einige der in den ersten Lebensjahren von der STIKO empfohlenen Impfungen unter diesem Blickwinkel:

 

Diphtherie und Tetanus

 

HiB

 

Pertussis

 

Masern

 

Mumps

 

Röteln

 

Varizella-Zoster-Virus/Windpocken

 

Hepatitis B

 

Poliomyelitis/Kinderlähmung

 

Pneumokokken

 

Meningokokken

 

FSME

 

Es zeigt sich, dass die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Titerbestimmungen nach(/vor) Schutzimpfungen wieder einmal etwas komplexer ist, als es sich dogmatische Impfologen oder hardcore-Impfgegner wünschen würden...

Eine tabellarische Übersicht über Untersuchungsverfahren und entsprechende Grenzwerte (nicht über die Sinnhaftigkeit der Untersuchung!) findet sich bei Plotkin 2010 (die Referenzzahlen beziehen sich auf das Literaturverzeichnis dieser Publikation).

 

 

Literatur

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