Unter der Überschrift "Mehr Schutz als gedacht" schreibt der Arzt und Journalist Werner Bartens in der Süddeutschen Zeitung vom 27.02.2014 (Bartens 2014) ein Loblied über Schutzimpfungen und beweist einmal mehr wie wichtig (und offensichtlich schwierig) es ist, Studien zu diesem komplexen Thema richtig zu lesen...

Bartens bezieht sich auf eine dänische Studie aus dem Jahr 2014, in der nach Angaben der Autoren untersucht wurde, ob die MMR-Impfung in Dänemark mit einer geringeren Rate von Krankenhauseinweisungen wegen Infektionskrankheiten im zweiten Lebensjahr assoziiert ist (Sørup 2014). Untersucht und verglichen wurde in der Studie aber vor allem die Auswirkung der Reihenfolge der Schutzimpfungen, und hier fanden die Autoren tatsächlich einen eindrucksvollen Zusammenhang: bei einer MMR-Impfung nach der (in Dänemark abschließenden) dritten Fünffachimpfung (D/T/aP/IPV/HIB) war das Risiko einer infektionsbedingten Krankenhauseinweisung im 2. Lebensjahr deutlich geringer als bei einer MMR-Impfung vor der dritten Fünffachimpfung - in letzterem Fall war die Infekthäufigkeit signifikant erhöht. "Receiving the live MMR vaccine after the inactivated DTaP- IPV-Hib vaccine was associated with a lower rate of hospital admissions for any infection. [...] Children who received DTaP-IPV- Hib after MMR had a significantly higher rate of infectious disease admission." Punkt.

Eine Schlussfolgerung, wie Bartens sie zieht: "Werden Kinder gegen häufige Krankheiten wie Masern, Mumps und Röteln geimpft, sind sie nicht nur vor diesen Leiden geschützt, sondern sie müssen auch generell seltener aufgrund von Infektionen ins Krankenhaus." findet sich in dieser apodiktisch-allgemeinen Form an keiner Stelle der von ihm zitierten Untersuchung.

Beide Aussagen - die der Studie selbst und auch die Werner Bartens' - kranken aber vor allem an einem grundsätzlichen systematisch-methodischen Problem: eine "häufiger/seltener"-Aussage braucht naturgemäß immer die möglichst genaue Angabe des jeweiligen Vergleichskollektivs und dies müsste, folgte man Bartens verallgemeinernder Aussage, eine Gruppe ungeimpfter Kinder sein. Dann und nur dann könnten Aussagen über den Effekt der Impfung an sich gemacht werden. Die dänischen Autoren, unter ihnen der dänische Epidemiologe Peter Aaby, sind sich dieses Problems sehr wohl bewusst und äußern sich im détail eben nur zum Effekt der Impfreihenfolge.

Vergleichsuntersuchungen mit ungeimpften Kindern sind in Ländern der westlichen Welt seit Jahrzehnten nicht mehr möglich, es gibt sie aber aus Ländern der so genannten dritten Welt und sie zeigten schon vor Jahren den jetzt in der SZ so euphorisch aufgenommenen Effekt: Lebendimpfungen wie die gegen Tuberkulose und Masern senken die Kindersterblichkeit in den ersten Lebensjahren und zwar weit über den durch das Verhindern der Zielerkrankungen zu erwartenden Effekt hinaus. Diese Studien zeigten aber eben auch, dass Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten und Kinderlähmung die Kindersterblichkeit verglichen mit ungeimpften Kindern (!) fast verdoppelten - Autor dieser Studien war schon damals: Peter Aaby (Aaby 2000).

Bartens kennt und zitiert diese Arbeiten in seinem Artikel - allerdings nur den ersten, aus der Sicht der Impfungen positiven Teil: "Aus ärmeren Ländern ist schon länger bekannt, dass geimpfte Kinder insgesamt seltener krank werden und auch allgemein besser vor Infektionen geschützt sind." und gibt spätestens mit dieser einseitigen Darstellung der Studienlage jedweden objektiven Anspruch der Auseinandersetzung mit dem Thema Impfen auf.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus den Untersuchungen, sowohl derer aus dem Jahr 2000, als auch der 2014er, ist jedoch: wieder einmal merken wir, wie wenig wir heute darüber wissen, was Impfungen tatsächlich im menschlichen Körper auslösen. Keiner der beobachteten Effekte, weder die "positiven", noch die "negativen", war Grundlage der Überlegungen für das Aussprechen einer Impfempfehlung, wurde so erwartet oder ist bis heute befriedigend erklärbar... auf letzteres weist sogar das der Sørup-Studie vorangestellte Editorial hin (auch wenn es von einem kinderärztlichen Kollegen verfasst wurde, der aufgrund seiner zahllosen Interessenskonflikte durch Verflechtungen zu praktisch allen Impfstoffherstellern eigentlich für eine Veröffentlichung in einem seriösen Journal wie dem JAMA völlig disqualifiziert ist) (Goldblatt 2014). Und die Tatsache, dass sogar Zeitpunkt und Reihenfolge der Impfungen (die auch zwischen westlichen Ländern teilweise deutlich differieren) einen solch deutlichen, unerwarteten Einfluss zum Positiven wie zum Negativen haben, lässt wieder einmal viel mehr Fragen offen, als wir derzeit beantworten könnten.

 

Literatur

Aaby P. BMJ 2000;321:1-8.

Bartens W. Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, den 26. Februar 2014, Seite 14

Goldblatt D. JAMA February 26, 2014 Volume 311, Number 8. 804-05

Sørup S. JAMA. 2014;311(8):826-835. doi:10.1001/jama.2014.470