Seit Beginn der Impfung mit konjugierten Pneumokokken-Impfstoffen bestand das Problem des so genannten replacements - die Zunahme nicht durch den Impfstoff erfasster Pneumokokkentypen als Krankheitserreger parallel zum Rückgang der im Impfstoff enthaltenen Serotypen. Nun zeigt eine aktuelle Studie für Deutschland, dass der maximale Schutzeffekt der Impfung schon Jahre zurückliegt und seitdem die Gesamthäufigkeit von Pneumokokkenerkrankungen im Kindesalter wieder kontinuierlich ansteigt  (Weinberger 2018).

Die Empfehlung, alle Kinder mit konjugierten Pneumokokken-Impfstoffen zu impfen datiert in Deutschland aus dem Jahre 2006, damals noch mit einem Impfstoff, der sieben, seit 2009 mit dem Nachfolgeprodukt, das 13 der über 90 verschiedenen Pneumokokken-Typen enthielt. Schon früh wurde international ein relevantes replacement-Phänomen beobachtet: die im Impfstoff enthaltenen Serotypen ließen sich mit der Impfstrategie gut zurückdrängen (inklusive eines nachweisbaren, Serotypen-bezogenen Herdeneffektes), parallel kam es aber, wo immer diese Impfungen eingeführt wurden, zu einer deutlichen Zunahme der anderen Pneumokokken-Typen als Erreger auch schwerster Erkrankungen (Näheres s. hier).


In Deutschland kam es unter dem Strich über einige Jahre zu einer deutlichen Verminderung von Pneumokokken-Erkrankungen insgesamt - diese Einschränkung ist deshalb bedeutsam, weil alle durch Pneumokokken ausgelösten Erkrankungen auch von anderen Erregern verursacht werden können, das replacement sich keineswegs nur auf die Familie der Pneumokokken beschränkt und der Effekt der Pneumokokken-Impfung auf die erregerunabhängige Häufigkeit von Erkrankungen wie Hirnhautentzündung, Lungenentzündung etc. schon immer sehr gering war (s. hier). Verglichen mit der Vor-Impf-Ära war die Reduzierung der durch Pneumokokken verursachten Krankheitslast in Deutschland in den Jahren 2012/2013  maximal - mit einer annähernden Halbierung der entsprechenden Fallzahlen. Trotz anhaltend sehr hoher Durchimpfungsraten kommt es seitdem jedoch wieder zu einem deutlichen Anstieg der Pneumokokken-Krankheitsfälle bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland, davon mehr als vier Fünftel ausgelöst durch Serotypen, die durch die Impfung eben nicht erfasst werden; ein rebound-Effekt, den viele Wissenschaftler seit Jahren vorausgesagt haben...

Die Autoren (einer davon seit vielen Jahren STIKO-Mitglied) formulieren vorsichtig: "There may be a need for vaccines using antigens common to all serotypes." - bis dahin wird aber natürlich mit dem alten, immer weniger wirksamen Impfstoff weitergeimpft.

Es zeigt sich wieder einmal, wie oft unsere fragmentarischen Betrachtungen zu diesen hochkomplexen Zusammenhängen schlicht und ergreifend zu kurz greifen...


Das selbe Phänomen lässt sich auch z.B. in Großbritannien nachweisen, wo schon länger systematisch Erkrankungen, die durch Pneumokokken ausgelöst werden, mit dem auslösenden Serotypen dokumentiert werden.

Hier zeigt die Dokumentation der Fälle, die durch Serotypen ausgelöst werden, die im verwendeten Pneumokokken-Impfstoff Prevenar 13 enthalten sind eine anhaltende serotypenspezifische (!) Wirksamkeit:

UK Serotypen in Prevenar 13

Quelle: https://www.gov.uk/government/publications/pneumococcal-disease-cases-caused-by-strains-covered-by-prevenar-13-vaccine/pneumococcal-disease-cases-caused-by-strains-covered-by-prevenar-13-vaccine

Genauso zeigt sich jedoch eine kontinuierliche - durch die Pandemie-Maßnahmen 2019-2021 abgeschwächte - Zunahme der Fälle, die durch Serotypen ausgelöst werden, die eben nicht in Prevenar 13 enthalten sind.

UK Serotypen nicht in Prevenar13

Quelle: https://www.gov.uk/government/publications/pneumococcal-disease-caused-by-strains-not-covered-by-prevenar-13-vaccine/pneumococcal-disease-infections-caused-by-serotypes-not-in-prevenar-13-vaccine

 

 


 Weinberger R. 2018. Vaccine. 36(4):572–77