Die Corona-Krise ist neben vielem Anderen auch: showtime für Zahlenakrobaten, Excel-Artisten und Glaskugel-Lesern. Fernsehen und andere Medien überfluten die Welt mit bunten Bildern voller Kurven, Balken und Linien... . Einige kritische Anmerkungen dazu...

Am 30.03. titelt die Tagesschau in ihrem Liveblog (Hervorhebung von mir): "Laut Johns-Hopkins-Universität jetzt rund 64.000 Infektionen und 560 Todesfälle in Deutschland" und die SZ liefert am 31.03. wie jeden Tag auf der Titelseite ein ähnliches Bild:

SZ 20200331

Es ist die Rede von "Infektionen in Deutschland", deren "Verdopplungszeiten" und "Trends".

Um statistischen Einfachverstehern wie dem Autor dieser Zeilen ein Einordnen zu ermöglichen, im Folgenden - für diese website ungewöhnlich - eine Metapher (ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen....):

{slider title="Alles so ruhig grad - gehen wir angeln..." - alias="angeln"}

Ein Mann geht an einem ihm unbekannten See angeln -

  • am Montag fängt er mit einer Angel einen Fisch - das spornt ihn an

  • am Dienstag fängt er mit zwei Angeln zwei Fische

  • am Mittwoch mit vier Angeln vier Fische

  • am Donnerstag mit 12 Angeln acht Fische

  • am Freitag mit 50 Angeln 20 Fische.

Stolz postet er (ganz zeitgemäß) seinen jeweiligen Fang auf Instagram (allerdings ohne seine follower mit détails wie der Anzahl der verwendeten Angeln zu langweilen).

Sein bester Freund (hauptberuflich Virologe und daher Excel-firm...) sieht diesen Post und schreibt daraufhin, dass sich die Zahl der Fische in dem (auch ihm unbekannten) See offensichtlich von Montag auf Dienstag verdoppelt, auf Mittwoch nochmal verdoppelt und bis Freitag verglichen mit Montag sogar verzwanzigfacht hat... (Er verkauft das daraus entstehende Diagramm an das zuständige Tourismusbüro, wird prompt zum offiziellen Tourismusberater für die Region ernannt und darf zukünftig an Pressekonferenzen des Tourismusverbandes teilnehmen...).

Ein italienischer Freund des Mannes hat auch Instagram, möchte nicht zurückstehen und postet ebenfalls seinen Fang aus einem ihm ebenfalls unbekannten aber eben italienischen Gewässer - auch er langweilt nicht näher mit Angaben zu Angelzahl, Fangmethode (lockt er vielleicht die Fische vorher mit Anfüttern zu seinem Angelplatz?), geschweige denn zur Tageszeit seiner Angelausflüge (Angler erzählen, Fische ließen sich zu verschiedenen Tageszeiten verschieden leicht fangen...).

Glaubten wir dem italienischen Freund, wenn er postete, in seinem See seien - das bewiesen ja seine Photos! - viel mehr Fische, als in dem bayerischen??

 

Positive Testergebnisse sind positive Testergebnisse sind positive Testergebnisse (sehr frei nach Gertrude Stein).

Sie sind weder

  • die Anzahl der Infektionen in einem Land (s. Tagesschau)

  • noch die Anzahl der Erkrankten (auch das wird immer noch munter synonym gesetzt).

 

Ohne zu wissen

  • wieviele Tests durchgeführt wurden

  • nach welchen Kriterien getestet wurde

    • repräsentative Bevölkerungsstichprobe? Das wäre die einzige aussagekräftige Strategie.

    • in Arztpraxen oder Gesundheitsämtern? Dort findet sich schon eine definitiv nicht mehr repräsentative Bevölkerungsgruppe, nämlich vor allem die mit begründeter oder unbegründeter Sorge um eine Ansteckung.

    • in Kliniken (wie wohl vor allem in Italien praktiziert)? Hier findet sich eine noch weniger repräsentative Bevölkerungsgruppe, nämlich die der schwer Erkrankten.

sind alle Schlussfolgerungen (oder gar Berechnungen!) aus der bloßen Anzahl der positiven Tests ("Verdopplung", "Trend", ... s. SZ) null und nichtig - sie sind, um im Bild der Akrobatik zu bleiben - ein klassischer salto mortale, oder, weniger blumig formuliert: wissenschaftlich gesehen lächerlich.

Das Robert Koch-Institut hat mit dem 26.03. begonnen, die Anzahl der pro Kalenderwoche durchgeführten Tests zu veröffentlichen - immerhin kennen wir damit die Anzahl der Angeln pro Woche... . Auch wenn hier noch lange keine flächendeckende Dokumentation erreicht ist (es nimmt nur eine dann auch noch schwankende Anzahl von Laboren teil), sieht man, dass allein von KW 11 bis KW 13 die Anzahl der Tests/Woche (in unserem Bild: die Anzahl der Angeln) fast verdreifacht wurde)

Labortestungen D

(Quelle: RKI Situationsbericht 01.04.2020)

Völlig unklar ist aber weiterhin wer, wann, warum getestet wurde... .

Zahllose Experten (z.B. JPA Ioannidis im Spiegel (Spiegel 01.04.2020)) fordern seit Wochen flächendeckende Testungen nach epidemiologisch sinnvollen Kriterien - also z.B. in repräsentativen Bevölkerungsstichproben unabhängig von der Frage einer eventuellen Erkrankung. Diese müssen dann schnellstmöglich auch durch ebenso repräsentative Antikörperbestimmungen in der Bevölkerung ergänzt werden - sobald die notwendigen Verfahren flächendeckend verfügbar sind.

Hätten wir damit mit Auftreten der ersten SARS-CoV-2 Fällen in Europa begonnen, hätten wir längst die so bitter nötige Evidenz und die aktuellen beispiellos-drakonischen Eingriffe in zentralste Grundrechte unserer Demokratie müssten nicht eminenzbasiert erfolgen... (und selbst das ist noch mehr als fraglich)...

{slider Wer Lothar Wieler und das RKI hat, braucht keine Daten}

Das RKI scheint endlich über präzisere Daten zu verfügen:

während die Johns-Hopkins-Universität am 03.04. vormittags gut 1.000.000 gemeldete COVID-19-Fälle weltweit dokumentierte, wusste der Präsident der Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, in der heutigen Pressekonferenz von über 100.000.000 nachgewiesenen Fällen zu berichten (Min 00:00:30) (eine Quelle für diese doch ganz andere Dimension der Erkrankung nannte Wieler nicht... - warten wir also lieber die nächste Pressekonferenz ab...)

 

 

Auf der heutigen Pressekonferenz des RKI erzählte Wieler lt. dem liveblog auf tagesschau.de darüber hinaus stolz, dass es gelungen sei, die Reproduktionsrate auf "eins" zu senken.

Wieler R0 20200403

Lassen wir die spitzfindige (aber natürlich sehr entscheidende) Differenzierung bei Seite, ob Wieler hier die Basis- oder die effektive Reproduktionszahl meint. Diese Zahlen - die ja angeben, wieviele andere Menschen ein (bei COVID-19 meist unbemerkt) Infizierter (bei COVID-19 meist unbemerkt) ansteckt - ohne repräsentative Abstrich- oder Antikörperuntersuchungen zu berechnen(nicht: zu raten!), verlangt schon allerhöchste epidemiologisch-mathematische Weihen, die sich so wohl nur im RKI finden... .

Denn bei der Definition der Reproduktionszahlen (Basis- oder effektiver) geht es nicht um die Zahl der manifest Erkrankten (die kennen wir in etwa), sondern immer nur um die Anzahl der Infizierten - genau diese alles entscheidende Größe ist aber bei SARS-CoV-2 bislang völlig unbekannt.... (s. Ioannidis, oder Jefferson, oder Antes, oder...).

Aber Wieler lässt sich bei dem vom RKI verhängten Vermummungsgebot durch schnöde Wissenschaft ja auch nicht stören (s. hier) - es geht dabei wohl um etwas ganz Anderes - wie der Exklusivberater der Bundesregierung, Christian Drosten, schon früh einräumte: „Masken sind eine Ergänzung der Maßnahmen und eine Erinnerung für Alle an den Ernst der Lage!" (Frankfurter Rundschau am 03.04.2020).

{slider Datenanalyse des SWR - update 01.04.2020}

Auch die auf tagesschau.de am 01.04. veröffentlichte Datenanalyse des SWR strotzt leider vor statistischen Missverständlichkeiten und Fehlern - auch dies dank unserer völlig unzureichenden Datenbasis.

So ist die Überschrift dieser Graphik (!) korrekt - die Überschrift und der Inhalt des zugehörigen Textes jedoch nicht.

SWR Altersverteilung 20200401

Die Tatsache, dass wir in Deutschland bisher Infektionen vor allem bei den 15 - 59-Jährigen (den "Jüngeren") nachgewiesen haben, ist eben überhaupt nicht das gleiche, wie die Aussage, dass bislang vor allem Jüngere infiziert sind!

Es könnte ja auch sein (und das ist nicht unwahrscheinlich), dass diese eher das Angebot der Testung wahrnehmen - z.B. aus beruflichen Gründen, oder weil es ihnen leichter fällt, eine drive-in-Testung wahrzunehmen, als den "Älteren" - und daher in der Gesamtgruppe der Getesteten überrepräsentiert sind.

So lange wir keine repräsentativen Testungen für Deutschland haben, die alle Bevölkerungs- und Altersgruppen statistisch sauber repräsentativ und systematisch erfassen, ist jeder Blick in eine Glaskugel erhellender...

{/sliders}