Mit Frankreich und Italien haben zwei der größten westeuropäischen Länder zum 01.01.2018 eine umfassende Impfpflicht eingeführt bzw. eine schon bestehende wesentlich ausgeweitet und verschärft - dies weckt, gerade auch, weil beide Länder 2017/18 massive Masernausbrüche zu beklagen haben, natürlich den Ruf nach diesem Schritt einmal mehr auch in Deutschland...

 

Der Hintergrund - Italien

2017 erkrankten in Italien deutlich mehr als 5000 Menschen an Masern - wie bei "modernen" Ausbrüchen in Ländern mit flächendeckender Masernimpfung üblich - überwiegend ältere Jugendliche und Erwachsene (epicentro 2017); insgesamt gab es 2017 sechs Todesfälle zu beklagen (CDTR 2017): so starb ein Sechsjähriger zuvor an Leukämie Erkrankter (CDTR Week 26), sowie zwei weitere Ungeimpfte Kinder im Alter von 16 Monate bzw. neun Jahren. Zwei Fälle von Enzephalitis traten auf (Filia 2017). 2017 waren 12 Prozent der Erkrankten geimpft, jeweils sechs Prozent einmal bzw. zweimal.

Auch im Sommer 2018 ist die Masernepidemie noch nicht im Griff - nach offiziellen Angaben der italienischen Behörden gab es vom ersten Januar bis zum 30. September 2018 schon wieder fast 2300 Neuerkrankungen (das sind deutlich mehr als in Deutschland im ganzen Jahr 2017 und fast viermal so viel wie dort im gleichen Zeitraum diesen Jahres ...) (epicentro 2018). Die geographische Verteilung der Masernfälle findet sich in hier (epicentro 2018). Das Haupterkrankungsalter liegt zwischen 15 und 39 Jahren. Schon jetzt sind 6 Todesfälle aufgetreten (2017: 6 bei insgesamt mehr als 5000 Fällen), darunter drei bei Erwachsenen, einer bei einem zehn Monate alten Säugling - alle waren nach Angaben der Behörden ungeimpft. Damit bleibt Italien auch 2018 auf der "Top Ten"-Liste der Länder mit der höchsten Masernerkrankungsrate weltweit (epicentro 2018).

Es bleibt offen, inwieweit die ausdrücklich vor dem Hintergrund der aktuellen Masernepidemie erst 2017 eingeführte Impfpflicht in Italien angesichts der aktuellen Regierungskoalition noch Bestand hat: der italienische Innenminister Salvini hatte die Aufhebung der Impfpflicht schon früh angekündigt (Der Standard 2018), mittlerweile scheinen ersten Schritte in dieser Richtung eingeleitet: ab dem neuen Schuljahr bedarf es als Impfnachweis nur noch der Selbstauskunft der Eltern (DÄ 2018).

 

Der Hintergrund - Frankreich

In Frankreich begann der aktuelle Ausbruch im November 2017 (also nach dem Beschluss zur Einführung der Impfpflicht), bis Mitte Oktober 2018 sind dort mehr als 2800 Menschen erkrankt, drei Todesfälle sind bisher zu beklagen, zuletzt verstarb eine immunsupprimierte 17-Jährige. Auch in Frankreich ist die Mehrzahl der Betroffenen älter als 14 Jahre, eine Übersicht über die betroffenen Regionen finden Sie hier (Santé publique France 2018).

Ungewöhnlich ist, dass in Frankreich 26% der Erkrankten geimpft sind (11% zweimal, 14% einmal, 1% mit einer unbekannten Zahl von Impfdosen) - dies ist (vor allem bei den zweimal Geimpften) eine deutlich höhere Quote, als aus vergleichbaren europäischen Ausbrüchen bekannt ist - die Ursache dafür ist unklar.

 

Geradezu reflektorisch fordern die hierfür üblichen Verdächtigen, dem Vorbild Italiens und Frankreichs nachzufolgen und endlich auch in Deutschland eine Impfpflicht einzuführen:

"Aus diesem Grund sollte der Gesetzgeber dem italienischen Beispiel folgen und endlich die Impfpflicht für alle Kinder einführen.", so der Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland e.V. (BVKJ), Dr. Thomas Fischbach im November 2017 (BVKJ 2017). Der damalige Bundesgesundheitsminister hielt jedoch auch angesichts der Entscheidung in Italien eine Impfpflicht für nicht notwendig (DAZ 2017) - als neue Idee steuerte sein Parteifreund und Ärztefunktionär Rudolf Henke (stellvertretender Vorsitzender im Gesundheitsausschuss des Dt. Bundestages) jedoch z.B. steuerliche Strafen für Impfverweigerer bei (DAZ 2017), weil Aufklärungskampagnen zum Thema Impfen nichts brächten (PZ 2017). Vergleicht man jedoch die epidemiologische Situation und vor allem die langjährige Entwicklung der Durchimpfungsraten in Italien, Frankreich und Deutschland, wirkt diese Äußerung gelinde gesagt etwas postfaktisch:

 

MCV1 und MCV2 in D, F und I

 

Die Impfquoten für die erste und die zweite Masernimpfung liegen in Deutschland seit vielen Jahren substantiell über denen in Frankreich oder Italien - und etwas pointiert formuliert: bei Impfquoten wie in diesen beiden Ländern sind Ausbrüche wie die von 2017/18 unvermeidlich...

Aber nicht nur das - auch in einem weiter gefassten Vergleich mit dem Durchschnitt aller europäischen Länder mit einer (Masern-) Impfpflicht steht Deutschland nicht so schlecht da:

 

MCV1 und MCV2 EU

 

die in Deutschland "nur" mit Aufklärung erreichten Quoten liegen auch hier für die erste und zweite Masernimpfung deutlich über denen in den Ländern, die die Masernimpfung verpflichtend vorschreiben.

Und die Frage, ob eine Masernimpfpflicht denn nun tatsächlich ein geeignetes Instrument ist, die Häufigkeit von Masernerkrankungen zu reduzieren, ist angesichts dieser Übersicht zumindest fraglich:

 

Masern EU bis 2017

 

 

Interessant ist, dass - wie in Italien - in Deutschland zumindest gedanklich dann keine halben Sachen gemacht werden: auf Parteitagsbeschlüssen von CDU (2015) und FDP (2017) wird dann nicht nur die Masernimpfpflicht gefordert - sondern diese gleich pauschal, ausdrücklich auch für Erkrankungen wie Tetanus/Wundstarrkrampf, die überhaupt nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden können und für Impfungen, die schon aus grundsätzlichen Überlegungen heraus keine Herdenimmunität vermitteln können wie z.B. Polio/Kinderlähmung. Dies zeugt entweder von völligem Fehlen jedweder Sachkenntnis oder beweist, dass es letztendlich doch andere als hehre epidemiologische Gründe sind, die hinter der Entscheidung/Forderung stehen... Schließlich steigert eine generelle Impfpflicht z.B. den Umsatz der Impfstoffhersteller nicht unerheblich - so ist es sicher reiner Zufall, dass die Entscheidung in Italien just in der Zeit fällt, in der der Impfstoff-Gigant GlaxoSmithKline ebenda 1.000.000.000 € investiert.... (ItalyEurope24 2016). Die italienische Opposition kritisiert die Einführung der Impfpflicht scharf und spricht folgerichtig von einem "Geschenk für die Pharmaindustrie" (Tagesschau 2017).

 

Literatur

BVKJ 2017. Kinder- und Jugendärzte fordern Impfpflicht. Abruf 20.06.2018

CDTR vom 20.05.2017. Abruf 20.05.2017

CDTR Week 26. Abruf 01.07.2017

DÄ/Deutsches Ärzteblatt. 2018. Italien weicht umstrittene Impfpflicht auf. Abruf 06.07.2018

DAZ.online vom 22.05.2017. Abruf 26.05.2017

Der Standard. 2018. Salvini will Impfpflicht in Italien aufheben und sorgt für Polemik. Abruf 06.07.2018

Epicentro 2017. http://www.epicentro.iss.it/problemi/morbillo/Infografica2017.asp. Abruf 31.05.2017

Epicentro 2018. Morbillo & Rosolia News Maggio 2018. Abruf 18.06.2018

Filia A. Euro Surveill. 2017;22(37):pii=30614. Abruf 18.09.2017

ItalyEurope24. http://www.italy24.ilsole24ore.com/art/business-and-economy/2016-04-12/glaxo-investe-siena-133250.php?uuid=ACZ2y35C. Abruf 21.05.2017

PZ online vom 28.04.2017. Abruf 26.05.2017

RKI. Infektionsepidemiologisches Jahrbuch 2016. Berlin 2017

Santé publique France 2018. Bulletin épidémiologique rougeole. Abruf 14.07.2018

Tagesschau. https://www.tagesschau.de/ausland/impfpflicht-italien-101.html. Abruf 21.05.2017

WHO. Measles and Rubella Surveillance Data. Abruf 18.06.2018