Seit 10 Jahren empfiehlt die STIKO eine Keuchhustenimpfung auch bei Erwachsenen - jetzt legt sie eine Analyse dieser Empfehlung vor (STIKO 2019).

Diese Selbstevaluation ist von so atemberaubender gedanklicher Kraft, dass sie hier (eingerückt und kursiv) in Auszügen zitiert (und nicht eingerückt und nicht kursiv kommentiert) sei:

 

STIKO:

Impfziel dieser Empfehlung ist es, die Krankheitslast durch Pertussis primär bei Erwachsenen sowie indirekt bei ungeschützten Kontakten von Erwachsenen, insbesondere bei Säuglingen, zu reduzieren.

Die ursprünglichen Erwartungen an die in Deutschland derzeit zugelassenen (ap)-Kombinationsimpfstoffe hinsichtlich der Schutzdauer und bevölkerungsbezogener Effekte haben sich nur teilweise erfüllt. Aktuellere Daten deuten darauf hin, dass der Impfschutz progredient abnimmt. Beim größten Teil der Geimpften ist 5 – 7 Jahren nach der Impfung kein Pertussisschutz mehr vorhanden.

Zudem schützt die Impfung zwar im genannten Zeitfenster wirksam vor der Erkrankung, […]

Kommentar:

Zum Schutz bei Jugendlichen, die von vorneherein mit DTaP-Impfstoffen geimpft wurden (also der jetzt heranwachsenden Elterngeneration) schreibt Cherry, der Doyen der Pertussis-Impfung im Februar 2019: "the vaccine-effectiveness rates during the first year were 75.3%, 73.0%, and 68.8%. However, after 3 years, almost no evidence of effectiveness was found" (Cherry 2019, Klein 2016, Acosta 2015, Koepke 2014).

Eine Schutzwirkung von deutlich unter 80% und nur einem Jahr Dauer als "wirksamen Schutz" zu bezeichnen, zeugt schon von einer sehr optimistischen, um nicht zu sagen: verklärten Sichtweise... .

Und es ist schon hart an der Grenze zu "alternativen Fakten", wenn die STIKO schreibt, dass beim größten Teil der Geimpften nach 5 - 7 Jahren kein Schutz mehr vorläge - denn der fehlt, den aktuellen Studien nach, auch schon 3 Jahre nach der Impfung. Period.

 

STIKO:

[die Impfung] scheint aber die Kolonisierung durch Bordetella pertussis im Vergleich zu Ungeimpften nur leicht zu verringern.

Demnach könnten Übertragungen auch durch asymptomatische, geimpfte passagere Träger erfolgen. Dies führt zu einer Abschwächung der positiven Einflüsse eines Gemeinschaftsschutzes, der besonders für ungeimpfte Säuglinge von großer Wichtigkeit wäre.

Kommentar:

Eine "nur leichte Verringerung" der Kolonisierung durch die Impfung führt nicht zu einer "Abschwächung der positiven Einflüsse eines Gemeinschaftsschutzes", sie führt diesen ad absurdum. Übersichtsarbeiten aus dem Jahre 2019 formulieren hier wenig missverständlich: "Finally, aPV pertussis vaccines do not prevent colonization. Consequently, they do not reduce the circulation of B. pertussis and do not exert any herd immunity effect. These findings at least partly explain the resurgence of pertussis." (Esposito 2019) Das wissen z.B. die amerikanischen Gesundheitsbehörden CDC und FDA und auch die WHO schon lange und gehen daher bei Keuchhusten korrekterweise nicht von einem relevanten "Gemeinschaftsschutz" (vulgo: Herdenimmunität) durch die Impfung aus (s. hier).

 

STIKO:

Die STIKO beschließt daher, dass die bestehende Standardimpfempfehlung eines einmaligen Boosters für Erwachsene zunächst beibehalten werden soll, ebenso die Indikationsimpfempfehlungen im 10-Jahresrhythmus für (i) Frauen im gebärfähigen Alter sowie für (ii) enge Haushaltskontaktpersonen und Betreuende von Neugeborenen und für (iii) Personen, die im Gesundheitsdienst oder in einer Gemeinschaftseinrichtung arbeiten.

 

Fassen wir zusammen

Die STIKO hat eine Impfempfehlung mit zwei dezidierten Zielen ausgesprochen, die sie jetzt (selber zwar, aber immerhin) evaluiert:

 

Ziel 1 - die Verminderung der Krankheitslast durch Pertussis primär bei Erwachsenen

 

Pertussis in D 2014 18 nach Alter

 

 

Ziel 2 - die Verminderung der Krankheitslast indirekt bei Säuglingen

 

Fazit

 

Impfempfehlungen und "Begründungen" wie diese sind sicher nicht dazu angetan, den mantraartig beklagten Vertrauensverlust in Impfungen, Impfempfehlungen und sie veröffentlichende Gremien zu mindern...

 

Literatur

Acosta AM. 2015. Pediatrics.135(6): 981–989

Cherry JD. 2019. J Pediatric Infect Dis Soc. 2019 Feb 22. pii: piz005. doi: 10.1093/jpids/piz005. epub ahead of print.

Esposito S. 2019. Front. Immunol. 10:1344. doi: 10.3389/fimmu.2019.01344. Abruf 25.07.2019

Klein NP. 2016. Pediatrics. 137(3):e20153326–e20153326

Koepke R. 2014. The Journal of Infectious Diseases. 210(6):942–53

STIKO. 2019. Epid Bull 2019;15:125 – 127

WHO. 2014. WHO SAGE pertussis working group Background paper. SAGE April 2014. Letzter Abruf 12.04.2019